Das Kernensemble Bozner Bahnhof ist ein Erbe der zweitältesten Eisenbahn des altösterreichischen Tirol Verona-Bozen von 1859.
Die großstädtische Bozner Bahnhofshalle zeigt, auf welche Dimensionen die k.k. Südtiroler Staatseisenbahn Verona-Bozen zugeschnitten war, bevor Österreich 1859 die Lombardei und 1866 auch das Veneto verloren geben musste. Die Wirren der Politik hatten die Bahnerschließungspläne ganz schön durcheinander gebracht. Erst mit der 1867 eröffneten Brennerbahn konnte man von Bozen weiter nach Innsbruck fahren. Seinen frühen Anschluss ans Eisenbahnzeitalter hatte das südliche Tirol von Süden her erhalten.
Die Bahnbauprogramme in den zu Österreich gehörenden Gebieten Norditaliens ließ sich Wien viel Geld kosten. Der Südtiroler Abschnitt wurde von Verona aus gebaut. Chef der Ober-Baudirektion in Verona war der spätere Suezkanalprojektant Luigi Negrelli, ein altösterreichischer Trentiner und führender Techniker seiner Zeit.
Hauptgebäude des k.k.Bahnhofs Bozen überlebt Faschismus und Bomben
Aus der Ära Negrelli hat sich das mehrstöckige Empfangsgebäude von anno 1859 mit seinem markanten trapezförmigen Grundriss erhalten. Dieses Stationsgebäude der kaiser-königlichen Staatsbahn in Bozen hatte einst die mächtige Ankunftshalle sogar noch überragt. Während die Halle noch in altösterreichischer Zeit weichen musste, hatte das im Kern erhaltene Stationsgebäude der Stunde Null den vom Faschismus angeordneten Bahnhofs-Umbau ebenso überlebt, wie heftigste Bombardements mit entsprechenden Schäden im Weltkrieg.
Wer heute „historischer Bozner Bahnhof“ sagt, meint den baulichen Status von 1928. Das faschistische Regime wünschte einen Bahnhof im Geist der neuen Zeit. Der römische Architekt Angiolo Mazzoni hatte mit dem 1928 eröffneten Bahnhofs-Umbau jedoch keinen Regimebau abgeliefert, sondern ein Baudenkmal, das mit Einfühlungsvermögen und in durchaus eigenständiger Handschrift gestaltet war. Besonderer Blickfang des Haupteingangs war das vorgeblendete Säulenentree, wobei Schrägseiten und Grundriss in ihrem Originalzustand belassen wurden.
Der faschistische Bahnhofs-Umbau von 1928 hatte architektonische Qualität
Vom Anpfiff faschistischer Parteibonzen, sein Bozner Bahnhofs-Umbau sei „zu deutsch“ geraten, ließ sich Mazzoni nicht beeindrucken. Unter Mussolini war die Eisenbahn zum Symbol des „Fortschritts“ deklariert worden, auch mit Blick auf die angestrebte Italianisierung des annektierten Südtirol: so sollte Bozen zu einer Industriestadt mit 100.000 Einwohnen anwachsen.
Vor diesem ideologischen Hintergrund und in dieser Bautradition muss die Umgestaltung der elegant-bürgerlichen spätklassizistischen Architektur des K.K.-Bahnhofs durch den römischen Architekten Mazzoni verstanden werden. Es wurde eine bis dahin ortsfremde Architektur der „Sieger“ eingeführt, die bei der deutschsprachigen Bevölkerung angesichts ihrer Zwangslage Emotionen, Hass und Widerstand weckte…. Aus heutigem zeitlichen Abstand kann die Qualität dieser Architektur Mazzonis im Rahmen der „Architettura per una Bolzano italiana“ sine ira et studio als geschichtliches Monument von hoher Qualität betrachtet werden…… , eine Architektur, die in den 30er Jahren Europaweit zu beobachten war, schreibt Arch. Andreas G.Hempel in der Bahnhofsrecherche des Kuratoriums, 2003/04
Schlussfolgerungen des Kuratoriums Auf die Einwände des Kuratoriums sowie des Denkmalamt und der Baukommission der Gemeinde Bozen hat Centostazioni reagiert und ein Varianteprojekt vorgelegt, das - vom Denkmalamt begutachtet - pfleglich 2005 -2006 umgesetz wurde. Im Zuge der Prüfung durch die Baukommission wurde folgenden Punkten besondere Aufmerksamkeit geschenkt:
Historischer Haupteingang: Centostazioni garantiert die von Kuratorium und Denkmalamt geforderte Öffnung des historischen Haupteingangs für die Dauer des täglichen Zugverkehrs. Bau des neuen südlichen und nördlichen Zugangs zum historischen Hauptgebäude: nach Ermessen des Kuratoriums ein einschneidender Eingriff in das bis heute intakt erhaltene Fassadenbild der Schrägseiten des historischen Hauptgebäudes. Mit Bedauern findet sich das Kuratorium hiermit zwar ab, besteht jedoch umso mehr auf genauester Einhaltung der im Gegenzug angebotenen sensiblen Lösungen.
Überdachung neue Eingänge: das Denkmalamt hat sich eingesetzt, von der geplanten Überdachung abzusehen, da diese eine schwere Beeinträchtigung der denkmalgeschützten Fassaden bewirkt hätte. Entweder würde dieser Nachteil durch einen weit auskragenden Dachvorsprung noch verschlimmert, oder im Falle eines reduzierten Daches, wäre der Regenschutz praktisch ineffizient.
Urbaner Raum und öffentlicher Nahverkehr: das Kuratorium vertritt das Grundsatzprinzip, dass Bahnhöfe aufgrund ihrer öffentlichen Funktion und ihrer starken Präsenz im Ortsbild einen entsprechenden Freiraum im urbanen Gefüge behalten müssen. In Bozen wurde der Bahnhofshaupteingang durch den Fluss des Durchzugsverkehrs bereits in seiner Funktion beeinträchtigt. (Kette zum Schutz der Fussgänger und Bahnreisenden, minimalbreiter Gehsteig). Durch den neuen, äusserst engen Verkehrskreisel und die Wendemanöver der öffentlichen Verkehrsmittel wird diese negative Situation weiter zugespitzt. Das Kuratorium empfiehlt daher, auch in Rücksprache mit Experten, eine grosszügigere Gestaltung des Fussgängerbereichs und eine Verkehrsberuhigung durch eine intelligente Verkehrsführung.
Warteräume und Sitzgelegenheiten: der derzeitige Warteraum für Reisende wird laut Projekt von Centostazioni nur sehr vage ausgewiesen. Die Formulierung „servizi secondari ai viaggiatori“ ist ein Sammelbegriff für neue Zweckbestimmungen, die sich nicht mehr auf den Bahnbetrieb beziehen , sondern auch kommerzielle Tätigkeiten und andere Service-Leistungen umfassen. Es wäre daher unbedingt notwendig, dass sich die Gemeinde auch mit Rücksicht auf Behinderte, Gebrechliche, Mütter mit Kindern, alte Menschen, usw. bezüglich Warteraum und Sitzplätzen hieb- und stichfeste Zusicherungen von den Bauträgern geben lässt.
Positiv am Centostazioni-Projekt erscheint uns, dass die Sanierung den historischen altösterreichischen Grundriss von Anno 1859 freilegt und von entstellenden späteren Zubauten säubert. Ausserdem hat Centostazioni auch dem Kuratorium mehrfach versichert, dass die historische Schalterhalle (1859/1928) mit markanten Details wie Holzflügeltüren mit Rautenmuster, historische Schalter mit Holz- und Marmorgestaltung sowie Messing-Abtrennungen und Glasdecke mit Oberlicht erhalten und pfleglich restauriert werden. Bezüglich kommerzieller Tätigkeiten wäre auch seitens der Öffentlichkeit künftig darauf zu achten, dass die Bahnhofsräume ihr Flair behalten und sensibel genutzt werden.
Institutionen wie das Stadtarchiv, Stadtmuseum u. eventuell zuständige ehrenamtliche Vereinigung sollten damit betraut werden, Erinnerungsstücke und historische Zeitzeugnisse, (ausrangierte Gepäckwagen, Dokumente..) die derzeit auf eine Nutzung warten oder denen eine endgültige Entsorgung droht, zu sammeln und aufzuarbeiten. Im Einzugsbereich des Bahnhofs sollte dafür ein „Memorial-Place“ errichtet und gestaltet werden.
Mittel- und längerfristige Massnahmen im Bahnhofsumfeld
Lagerschuppen, altösterreichische Dogana aus der Zeit der Brennerbahn(1867), Remise Rittnerbahn (1906).
Die in dieser historischen Bahnhofsmeile enthaltenen Bauten bilden ein einmaliges –weil noch weitgehend intaktes - technisches Ensemble. Diese sollten daher als Ensemble erhalten, und als historische Bahnhofsmeile Bozen mit entsprechender Attraktivität – so wie auch in anderen Grossstädten ob Berlin, Wien oder Innsbruck- sinnvoll genutzt werden.
Bahnhof Sigmundskron
Altösterreichischer Bahnhof Sigmundskron der Bozen-Meranerbahn von Anno 1887 Bahnhofsmeile Vinschgau
Bahnhof Sigmundskron Gleisseite, historische Zeichnung Archiv FS Bozen
Das Prinzip der Erhaltung des historischen Ensembles mit entsprechendem Freiraum im urbanen Kontext gilt -so wie in Bozen- auch für den Bahnhof Sigmundskron aus der Stunde Null der Südtiroler Bahnerschliessungen. Ein entsprechend attraktives Bahnensemble ist nicht nur als Aufwertung der Nahverkehrsfunktion, sondern auch mit Blick auf die touristische Bedeutung des Messner-Museums auf Schloss Sigmundskron sowie auf weitere geplante Freizeitangebote von grösster Bedeutung. Bei allen eventuell in Betracht gezogenen Strukturen, die vorerst nur aus der Presse ansatzweise bekannt sind, wäre die Erhaltung und Aufwertung dieses einmaligen Ensembles von höchster Priorität. Der Bahnhof Sigmundskron würde eine wichtige Anbindung an die vom Kuratorium angedachte Bahnhofsmeile Vinschgau- Meran-Bozen darstellen (siehe anbei auch Presseaussendung und www.technikmuseum.it
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| Bahnhof Bozen Bozner Bahnhof mit Ankunftshalle 1859, Museo Correr Venedig, aus ?Eisenbahnladnschaft Alt-Tirol? | | Bahnhof Bozen, Ansicht Bahnhofsplatz Der Bahnhof vor der Restaurierung durch Centoistazioni, 2004 | | Bahnhof Bozen 1940 ?Die Stadt Bozen in Ansichtskarten 1890 ? 1940?, G. Sessa, edizioni arca, Trento 1990 | | Innenansicht 1902 ?Die Stadt Bozen in Ansichtskarten 1890 ? 1940?, G. Sessa, edizioni arca, Trento 1990 | | Innenansicht 1930 ?Die Stadt Bozen in Ansichtskarten 1890 ? 1940?, G. Sessa, edizioni arca, Trento 1990 | | Bahnhof Bozen-Gries vor Neubau 1929 ?Die Stadt Bozen in Ansichtskarten 1890 ? 1940?, G. Sessa, edizioni arca, Trento 1990 | | Bahnhof Bozen ?Die Architektur fuer ein italienisches Bozen?, O. Zoeggeler, L. Ippolito, Tappeiner Verlag, Lana 1992 | | Grundriss ?Die Architektur fuer ein italienisches Bozen?, O. Zoeggeler, L. Ippolito, Tappeiner Verlag, Lana 1992 | | Hauptgebaeude ?Die Architektur fuer ein italienisches Bozen?, O. Zoeggeler, L. Ippolito, Tappeiner Verlag, Lana 1992 | | Skulpturen und Kehlungen am Turmfundament ?Die Architektur fuer ein italienisches Bozen?, O. Zoeggeler, L. Ippolito, Tappeiner Verlag, Lana 1992 | | Uhrturm ?Die Architektur fuer ein italienisches Bozen?, O. Zoeggeler, L. Ippolito, Tappeiner Verlag, Lana 1992 | | Urspruengliches Bahnhofsgelaende ?Die Architektur fuer ein italienisches Bozen?, O. Zoeggeler, L. Ippolito, Tappeiner Verlag, Lana 1992 |
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