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Christian Tschuggmall - Mechanisches Kunsttheater

Bewegliche plastische Figuren dienen heute Werbezwecken in Schaufenstern und an Kirmes-Fassaden, begeistern die Kleinen in Märchen- und Freizeitparks und ihre großen Geschwister in Gestalt von riesigen, computergesteuerten Insekten- oder Dinosauriermodellen. Im 18. Jahrhundert bauten Uhrmacher mechanische „Automate“ oder „Androiden“ von unerreichter Meisterschaft, die in den großbürgerlichen Salons und vor allem an aristokratischen Höfen vorgeführt oder verkauft wurden. Das normale Volk musste sich mit der Schaustellung weniger aufwendiger und doch beeindruckender Automaten oder beweglichen Wachsfiguren begnügen.

„Die androiden Automaten sanken gesellschaftlich wie technisch vom Spielzeug des Adels zur rasselnden Attraktion von Provinzjahrmärkten ab: die turnenden und trinkenden Maschinen von Eseln, Tschuggmall oder Tender mit ihren grob geschnitzten Gesichtern und der zwar raffinierten, aber gebastelt, ja geflickt wirkenden Mechanik waren ein volkstümlicher Nachhall der hochgezüchteten Raritäten des 18. Jahrhunderts“. (aus www.schaubuden.de)




Technik

Über die Konstruktion der Automaten von Christian Josef Tschuggmall erfährt man leider nichts; er hat sie immer streng geheim gehalten. Wenngleich aus den zeitgenössischen Berichten ersichtlich ist, dass Tschuggmalls Figuren in ihren Programmen reichhaltiger und in ihren Bewegungen natürlicher waren, als die anderen damals bekannten Automaten, muss man annehmen, dass seine Konstruktionen ähnlich wie die anderen waren. 

Eine solche, sich automatisch bewegende Figur vom Mechaniker Droz, die schreiben kann, ist noch im Museum in Neuchâtel erhalten; in ihr ist ein ungeheuer kompliziertes Uhrwerk, das alle Gelenke steuert, zu sehen. Es nimmt daher nicht Wunder, dass Tschuggmall in allen Städten und Ländern, in denen er sein Kunstkabinett zeigte, hoch gefeiert wurde und damit den Ruhm seines Heimatlandes Tirol gemehrt hat. (aus „Tiroler Pioniere der Technik“, Ernst Attlmayr, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck-München, 1968)



Geschichte

Im kleinen Dorf Wenns im Pitztal, das auch als die Heimat des berühmten Geographen Vischer bekannt ist, wurde Christian Josef Tschuggmall am 19. Jänner 1785 geboren. Sein Vater Simon, von Beruf Fleischer und Tierarzt, war ein Trunkenbold und kümmerte sich nicht um seine Familie; daher musste seine Mutter für den Unterhalt ihrer 5 Kinder allein sorgen.

Nach einer sehr harten Jugend wurde Christian ein tüchtiger Kunsttischler, der allerdings als solcher von der Zunft nicht anerkannt wurde, hatte er doch keine den Zunftgesetzen entsprechende Lehrzeit mitgemacht und sogar die Dorfschule nur durch 3 Monate besucht. 1809 rückte er als Hauptmann der Wenner Kompanie aus, nahm an mehreren Gefechten teil und kehrte schließlich, mehrfach verwundet und von Andreas Hofer ausgezeichnet, in die Heimat zurück. Hier heiratete er nun ein armes, aber braves Mädchen – Elisabeth Posch, die alle seine weiteren Freuden und Leiden mitmachte.

In den folgenden Jahren musste er immer wieder schwere Schicksalsschläge hinnehmen. Zweimal wurde er überfallen und schwer verletzt, einmal kam er unter eine Lawine, dreimal – durch Räuber, durch Hochwasser und durch eine Vermurung – verlor er seine ganze mühsam erworbene Habe. Die Zünfte machten dem außergewöhnlich tüchtigen Mann immer wieder Schwierigkeiten, so dass er genötigt war, seinen Aufenthaltsort mehrmals zu wechseln, bis er sich mit seiner Familie in Vahrn bei Brixen niederließ, wo er als Drechsler und später als Seifensieder sein Brot verdienen konnte.

Um diese Zeit war Matthias Tendler, ein geborener Steirer, mit seinem damals berühmten Automatenkabinett nach Brixen gekommen; er zeigte dort seine zierlichen, bewegten Figuren, die allenthalben, insbesondere auch vom Fürstbischof, bewundert wurden. Da kam dieser, dem Tschuggmall seine Lieblingsuhr wieder in Gang gebracht hatte, was keinem der zünftigen Uhrmacher gelungen war – auf den Gedanken, von ihm solche Automaten anfertigen zu lassen. Obwohl Tschuggmall die Tendlerschen Figuren nicht gesehen hatte, nahm er den Auftrag des Fürstbischofs an und begann voll Freude zuerst mit der Herstellung einer etwa ½ m großen Figur, die sich selbst Wein einschenkte und diesen dann austrank.

Nach dieser gelungenen Probearbeit fing er an, einen Seiltänzer zu bauen. Vier Jahre lang arbeitete er an dieser Figur, musste alle damit verbundenen schwierigen mechanischen Berechnungen, alle erforderlichen Bildhauer- und Uhrmacherarbeiten selbst durchführen. Immer wieder traten neue Schwierigkeiten auf, aber er gab nicht nach. Als z. B. der damals für Federn erhältliche Stahl den Anforderungen nicht entsprach, kaufte er alte Damaszenerklingen und schmiedete aus diesen die den ganzen Mechanismus antreibenden Federn.
Dieser Seiltänzer beantwortete Fragen seines Herrn durch Mienenspiel und Kopfnicken, tanzte nach dem Takte der Musik und führte die schwierigsten Kunststücke auf. Auch Tendler hatte in seinem Kabinett einen Seiltänzer; der Tschuggmallsche soll aber in seinen Bewegungen natürlicher gewirkt und wesentlich schwierigere Aufgaben ausgeführt haben.

Tschuggmall, der erst mit 20 Jahren mühsam lesen und schreiben gelernt hatte, machte seine Arbeiten ohne Zeichnung, nur nach seiner Phantasie und Vorstellung; dazu soll er oft stundenlang mit geschlossenen Augen im Schatten eines Baumes gelegen sein und so seine Figuren im Geiste entworfen und berechnet haben. Dem Seiltänzer folgte noch ein Bajazzo, ein Pierrot, eine Kellnerin, ein „kleiner Tiroler“, die seiltanzende „Mme. Blondine“, ein Mohr und ein Kunstreiter auf freilaufendem Pferd.

Nach 8 Jahren war Tschuggmalls „Mechanisches Kunsttheater“ soweit beendet, dass er in Brixen die erste öffentliche Aufführung wagen konnte. Der Beifall war überwältigend. Der zweiten Vorstellung wohnte auch der greise Fürstbischof Graf Lodron bei. Da zeigte Tschuggmall nach den übrigen Darbietungen eine stürmische See mit einem strandenden Schiff, an dessen Bord sich die Tschuggmallsche Familie befand. Eben als der Untergang unvermeidbar schien, kam ein rettender Engel in der Gestalt des Bischofs und führte das Schiff in den sicheren Hafen. Der Jubel war grenzenlos und Graf Lodron vergoss Tränen der Rührung und Freude. Acht Tage, nachdem Tschuggmall seinem Retter und Wohltäter in dieser Weise seinen Dank ausgesprochen und viel Freude bereitet hatte, am 10. August 1828, verschied der Fürstbischof infolge eines Schlaganfalls.

Nach dem Tode seines Protektors fand Tschuggmall einen neuen in der Person des Grafen Ludwig Sarnthein, den er später seinen dritten Vater nannte und der ihm die Mittel zur Verfügung stellte, um mit seinem Figurenkabinett auf Kunstreisen Ruhm und Erfolg zu ernten. Er fuhr zuerst über Bozen nach Oberitalien, dann nach Süddeutschland und über Salzburg, Linz, nach Wien. Überall fand er höchste Bewunderung; allgemein wurde seinen Automaten der Vorrang vor den damals so berühmt gewesenen Tendlerschen gegeben. Kaiser Franz I., Kaiserin Karoline und der Herzog von Reichstadt bestaunten sein Werk.

Und weiter ging die Fahrt durch die ganze damalige Monarchie. In Lemberg ließ er sich verleiten, auch Polen und Russland zu bereisen; er kam nach Warschau, Petersburg, Moskau, Nischnij-Nowgorod bis nach Kasan. Wohl löste er überall Begeisterung aus und wurde mit Ehren überhäuft (der Zar schenkte ihm einen kostbaren Brillantring), aber unbeschreiblich sind seine dort ausgestandenen Mühen und Beschwerden; allenthalben musste er gegen Betrug und Korruption ankämpfen.

Als er schließlich nach drei Jahren im Frühjahr 1839 bei Czernowitz wieder die schwarz-gelben Zollschranken erreichte, küsste er die heimatliche Erde Österreichs; wusste er doch, dass nun auch für ihn wieder Recht und Billigkeit herrschten. Seine Kunstreise führte ihn wieder durch Österreich. In Wien gab ihm Staatskanzler Fürst Metternich ein eigenhändiges Zeugnis, dass seines Erachtens „diese Automaten zu den seltsamsten Produkten menschlichen Genies und Kunstfleißes gehören“. Nach einer Fahrt durch die Schweiz, fuhr er wieder nach Deutschland. Dort, im Städtchen Michelstadt im Großherzogtum Hessen, setzte am 26. November 1845 ein Schlaganfall seinem bewegten Leben ein Ende.

Tschuggmalls Kinder – seine Frau war ihm im Jahre 1839 im Tode vorausgegangen – führten mit seinem Schwiegersohn Juliano die Kunstreisen bis zum Jahre 1870 fort, dann kamen die Figuren in den Besitz eines gewissen Schiechtl – Besitzer eines Variete-Theaters in München – der sie zuletzt in den 1890ger-Jahren in Innsbruck vorführte. Sie sollen dann nach Amerika gekommen und dort bei einem Theaterbrand zugrunde gegangen sein.

Wir sind heute, im Zeitalter der Satelliten, leicht geneigt, solche Arbeiten als sinnlose Spielereien aufzufassen. Damals galten sie wegen ihrer großen Ähnlichkeit mit der belebten Natur – dem damaligen Kunstideal – und in Würdigung der damit verbundenen technischen Schwierigkeiten als Spitzenerzeugnisse einer hohen Kunst. Über ihre technische Leistung staunt man auch heute noch, wenn man die übereinstimmenden Berichte der damaligen Presse liest.

Wir vernehmen, dass „ein Seiltänzer von ca. ½ m Höhe auf einem schlaffen Schwungseil und zwar ohne die geringste merkliche Verbindung mit diesem, nach dem Takte der Musik alle dem Menschen möglichen Bewegungen ausführte und sich mit äußerster Schnelligkeit vom Seil losmachen konnte, um sich bald mit den Händen, bald mit den Füßen um dasselbe zu schwingen“. Dass dann ein ca. 90 cm hoher Bajazzo den Seiltänzer vom Seil nimmt, hinter die Kulissen trägt, wiederkommt und, „nachdem er sich mit einigen Gläsern Wein Mut angetrunken hat“, nun selbst – zuerst zaghaft – aufs Seil geht, um dann bald auf diesem ebenfalls allerlei Kunststücke zu machen. Dabei wird immer wieder festgestellt, dass es sich um keine Marionetten, sondern um echte Automaten handelte, die ihre Bewegungen nur von in ihrem Inneren befindlichen, mechanischen Werken ableiteten, ohne jede äußere Beeinflussung durch handgesteuerte Schnüre und dergleichen.

Der berühmte Physiker Zamboni in Verona gab, nachdem er den inneren Mechanismus der Automaten gesehen hatte, schriftlich die Erklärung ab, er zolle dem „unvergleichlichen Genie des Erfinders den feierlichen Tribut seines vollsten Beifalles und seiner Achtung“. (aus „Tiroler Pioniere der Technik“, Ernst Attlmayr, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck-München, 1968)



Fotogalerie

Tschuggmall wikipedia.jpgChristian Tschuggmall
aus: Wikipedia
tschuggmall plakat landesberufschule brixen.jpgPlakat des "Mechanischen Theaters"
aus: Landesberufschule für Handel, Handwerk und Industrie, Brixen
tschuggmall.jpgChristian Tschuggmall
?Tiroler Pioniere der Technik?, Ernst Attlmayr, Universitätsverlag Wagner, Innsbruck-München, 1968